Leseprobe: Ich fliege

Inhaltsverzeichnis

 

1. Teil: Die rote Feder

Ein schöner Traum

Geburtstag

Die Überraschung

Der erste Flug

Die Blumen machens aus

Der erste Ausflug

Auf dem Spielplatz

Die Feder ist weg

Der Plan

Das Buchzeichen

Eine Runde für jeden

 

2. Teil: Zelten

Endlich Ferien

Die Sonne lacht wieder

Unterwegs

Schlussspurt

Zeltbau

Stauen und Umleiten

Der Abend kommt

Philipps Erzählung

Ferienerlebnisse

Über dem Ozean

Endlich wieder Land

In der Wüste

Der zweite Tag

Schiffchen bauen

Bachwanderung

Geräusche

Philipp erzählt weiter

Der Sandsturm

Durst

Die Karawane

Das Gewitter

Die Idee

Die Rettung

 

 

 

 

 

1.   Teil: Die rote Feder

 

Ein schöner Traum

 

Philipp fliegt mitten in einem Schwarm von Sperlingen durch die kalte Winterluft. Er fühlt sich leicht wie ein Vogel und der Wind weht ihm ins Gesicht. Der Schwarm setzt sich laut zwitschernd auf die äussersten Astspitzen einer grossen Buche. Da kann Philipp aber nicht landen. Er ist zu schwer. Philipp ist nämlich kein Vogel, sondern ein Knabe von sechs Jahren. Deshalb gleitet er langsam und vorsichtig zu Boden. Wenn die Sperlinge weg fliegen, will er wieder mit ihnen starten.

 Als Philipp aber den Boden mit den Füssen berührt, merkt er, dass er nicht draussen unter dem Baum steht, sondern drinnen in seinem weichen Bett liegt. Der Knabe ist aus einem schönen Traum erwacht. Enttäuscht bleibt er noch etwas liegen.

 „Schön wäre es schon, wenn ich wie ein Vogel fliegen könnte“, denkt der Knabe bei sich. „Aber leider ist das nur ein wunderbarer Traum.”

 Noch ein kleines Weilchen bleibt er im Bett liegen und hängt träumerisch seinen Ideen und Wünschen nach.

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Aber plötzlich setzt sich Philipp mit einem Ruck auf. Ein aufregender Gedanke durchzuckt seinen Kopf.

 Heute ist nicht nur Sonntag, sondern noch ein ganz besonderer Tag dazu.

 

 

Geburtstag

 

 

 

„Hurra, ich habe heute Geburtstag!”, jubelt Philipp.

 Nun hält ihn nichts mehr im Bett. Sofort springt er raus und hüpft fröhlich die Treppe hinunter. In der Küche duftet es schon herrlich nach Frühstück. Die frischen Zopfteigtierchen liegen zum Auskühlen auf einem Gitter.

 „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, tönt es zweistimmig aus der Küche.

 Freudig wird er von Papa und Mama begrüsst, nacheinader in die Arme genommen und gedrückt.

 Anschliessend hilft Philipp, den Tisch zu decken. Er stellt die vier Teller und Tassen mit Besteck an ihren richtigen Platz. In der Zwischenzeit bereitet Mama das Frühstück fertig zu.

 Papa verschwindet kurz. Als er wieder auftaucht, verlangt er von Philipp:

 „Schliess deine Augen! Und nicht gucken! Überraschung!“

 

 

Als Philipp sie wieder öffnen darf, sieht er zwei Geschenke an seinem Platz liegen. Eines ist ganz flach und gross, das andere recht klein und unförmig. Beide sind in schönes, farbiges Papier eingewickelt, oben drauf ist eine Masche befestigt und auf dem grossen Paket glänzt ein in rotes Alupapier gewickelter Schokoladekäfer.

 „Darf ich sie gleich öffnen?“

 „Nein, warte noch, bis alles vorbereitet ist.“, bekommt er zur Antwort. „Vorfreude ist die schönste Freude!“

 Philipp ist gespannt und ganz kribbelig. Was mag da drin sein?

 Vom lauten Klappern in der Küche und dem geschäftigen Hin und Her, ist Philipps kleine Schwester Mia aufgewacht. Neugierig kommt sie hinzu. Von allen Seiten bestaunt sie die Geschenke. Eine Hand ist schon bereit zum Zufassen. Am liebsten würde sie die Pakete gleich selber aufreissen. Ein kurzer und bestimmter Blick von Mama und kräftiges Kopfschütteln, hält sie aber davon ab.

 Jetzt ist es so weit. Alles ist bereit. Philipp darf die Geschenke öffnen. Er entscheidet sich als erstes für das grosse flache Paket. Nachdem er das Geschenkband abgestreift hat, löst er vorsichtig die Klebstreifen. Dieses Papier kann er später noch zum Basteln gebrauchen.

 Mia steht mit grossen Augen daneben. Ihr geht es nicht schnell genug. Beim Drehen klappert es geheimnisvoll. Was ist da drin?

 Endlich ist Philipp fertig. Eine grosse Schachtel mit wunderbaren Buntstiften kommt zum Vorschein. Im kleinen Päckchen ist ein rotes Spielzeugauto.

 Geheimnisvoll schauen die Eltern Philipp an und erklären ihm:

 „Das was zu diesem Auto gehört, war zu gross, um eingepackt zu werden. Deshalb liege es in deinem Zimmer.“

 Wie eine Rakete stürmt Philipp die Treppe hinauf. Hinter ihm folgen seine Eltern und Mia etwas langsamer nach. Er öffnet seine Zimmertür und erblickt auf dem Boden vor seinem Bett einen wunderbaren Strassenteppich. Den hat er sich schon seit langem gewünscht. Endlich hat er ihn bekommen.

 Am liebsten würde Philipp jetzt gleich seine Spielautos hervor holen und auf dem Teppich herumfahren. Das neue Auto bekommt natürlich einen Sonderplatz.

 Aber seine Eltern meinen:

 „Jetzt nicht. Dazu hast du nach dem Frühstück noch genügend Zeit!“

 Sie gehen alle wieder miteinander hinunter, um endlich etwas zu essen.

 

 

Die Überraschung

 

 

 

Als sie in der Küche sind, setzt sich jeder auf seinen Platz. Philipp kommt als letzter dazu. Beim Absitzen sieht er im letzten Moment, dass auf seinem Stuhl noch ein kleines Paket liegt. Erstaunt nimmt er es in die Hand und zeigt es herum:

 „Hier liegt ja noch eines! Es ist so leicht, es scheint gar kein Gewicht zu haben.“

 Auch seine Eltern machen grosse Augen:

 „Wo kommt das denn her?“

 

Mama schaut Papa fragend an. Aber der zuckt nur die Schultern und schaut Mama ratlos an.

 Auch von Mia, Philipps kleiner Schwester, kann es nicht sein. Sie ist nämlich noch zu klein, um Geschenke zu machen.

 Zögernd wird das kleine Paket von einer Hand in die andere gegeben und rundherum begutachtet. Es ist in silbernes Papier eingewickelt und mit einem goldenen Blättchen verziert. Daneben klebt ein Zettelchen und darauf ist, in zierlicher Schrift, Philipps Name geschrieben. Es gehört also zweifellos dem Geburtstagskind.

 „Wie ist es hierher gekommen? Alle sind doch oben in Philipps Zimmer gewesen.“

 Natürlich möchte Philipp das geheimnisvolle Geschenk sofort öffnen, aber die Eltern meinen, jetzt werde zuerst einmal gefrühstückt. Alle langen herzhaft zu. Nur Philipps Gedanken kreisen ständig um das dritte Päckchen:

 „Was ist wohl drin? Wer hat es hingelegt? Von wem ist es?“

 Endlich sind alle satt und es ist Zeit, Philipps Neugier zu stillen. Vorsichtig reisst er das silberne Papier weg. Es ist so schön, dass es in seine Schatzkiste kommt. Die Spannung steigt. Endlich ist es ausgewickelt.

 Vor Philipp liegt eine wunderschöne Feder. Sie ist etwa so lang wie seine Hand, ganz fein, unten etwas breiter, zur Spitze hin wird sie schmaler und leuchtet in einem feurigen rot. Alle staunen und Philipp freut sich darüber. Ihm gefallen Federn sehr. Deshalb möchte er sie immer bei sich tragen.

 Er geht hinauf, um sich zu waschen und anzuziehen. Zum Schluss steckt er seine neue Feder in die Hosentasche. So kann er sie immer halten, wenn er Lust dazu hat.

 Und jetzt hat er endlich Zeit, mit seinem neuen Strassenteppich zu spielen. Später will er dann mit den neuen Buntstiften ein schönes Bild malen.

 

 

Noch eine Überraschung

 

 

 

Seit Philipps Geburtstag sind einige Wochen vergangen. In der Zwischenzeit hat er schon oft auf seinem neuen Strassenteppich gespielt. Einige Buntstifte sind vom häufigen Spitzen bereits kleiner geworden. Die Feder ist immer noch gleich schön, wie am ersten Tag. Philipp hat sie seither immer bei sich getragen. Wenn er sie in seiner Hand hält und anschaut, fühlt er sich leicht wie ein Vogel und frei von allen Sorgen. Von wem sie ist, hat er bis jetzt nicht herausgefunden.

Inzwischen ist Frühling geworden. Die Sonne scheint. Heute ist ein wunderbarer Tag. Vor dem Hauseingang blühen die ersten Veilchen.

Philipp steht vor der Tür und wartet auf seine Kolleginnen. Sie wollen, wie immer, miteinander in den Kindergarten gehen. Heute ist er ausnahmsweise als erster bereit. Während der Knabe dort steht, macht sich eine Idee breit.

„Heute bringe ich meiner Kindergärtnerin, Frau Meyer, wieder mal ein Blumensträusschen. Es sind Ewigkeiten her, seit ich das das letzte Mal gemacht habe.“

Schnell bückt er sich, und pflückt ein paar Veilchen. Sie riechen wunderbar süss nach Frühling.

Kaum ist Philipp fertig, kommt auch schon Elisa aus der Haustür nebenan. Gemeinsam warten sie auf Petra.

Während sie da stehen, greift Philipp in seine Hosentasche. Er will nachschauen, ob er heute seine schöne, rote Feder auch dabei hat. Zufrieden hält er sie mit Daumen und Zeigefinger fest. In dem Moment fliegt ein Greifvogel sehr tief über sie hinweg und späht auf den Boden. Philipp bemerkt dies und will Elisa den grossen Vogel zeigen.

Weil er keine Hand mehr frei hat – in der einen hält er die Feder, in der andern das Veilchensträusschen – zeigt er mit der Feder gegen den Himmel:

 

 

„Schau mal, den grossen Vogel! Was sucht er wohl?“

Noch während Philipp spricht, merkt er, wie er leichter und leichter wird. Langsam beginnt er zu schweben. Seine Füsse entfernen sich immer mehr vom Boden. Zuerst weiss er gar nicht, was mit ihm geschieht. Aber dann bemerkt Philipp, dass er fliegt. Er ist schon ziemlich hoch in der Luft.

Elisa hat bis jetzt noch nichts gemerkt. Sie schaut dem grossen Vogel nach, bis er hinter den Häusern verschwunden ist. Endlich dreht sie sich wieder dorthin, wo Philipp vorher gestanden ist. Natürlich sieht sie ihn da nicht mehr. Sie schaut rund herum, kann ihn aber nicht finden. Deshalb ruft sie:

„Philipp, wo bist du? Wo hast du dich versteckt?“

Hoch aus der Luft antwortet es:

„Hier oben bin ich!“

Elisa schaut hinauf und da sieht sie Philipp über ihr in der Luft schweben. Ihr bleibt vor Staunen der Mund offen stehen. Ungläubig starrt sie in die Höhe. Endlich, als sie die Sprache wieder gefunden hat, fragt sie:

„Wie … Wie kommst du denn … da hinauf?“

„Ich weiss es selbst nicht“, ruft ihr der Knabe hinunter. „Ich habe mich plötzlich ganz leicht gefühlt und dann bin ich langsam in die Höhe gestiegen. Ich glaube, ich fliege heute in den Kindergarten.“

Inzwischen ist Petra dazu gestossen. Auch sie macht grosse Augen, als sie Philipp in der Luft sieht. Elisa erklärt ihr, was passiert ist und weil Philipp nicht mehr herunter kommt, machen sie sich ohne ihn auf den Weg in den Kindergarten.